Auferstehung ist unser Glaube,
Wiedersehen unsere Hoffnung,
Erinnerungen und Gedenken unsere Liebe.
(Aurelius Augustinus )
So habe ich die Trauer erlebt…
Der folgende Bericht bezieht sich auf meine persönlich erlebte Trauer! Trauer ist individuell und jeder Mensch erlebt sie auf seine eigene Weise.
Ich habe mich dazu entschlossen ganz offen von meiner erlebte Trauer zu berichten, um anderen Betroffenen Mut zu machen auf ihrem Wege durch ihre eigene Trauer. Es war und ist mir ein persönliches Anliegen darüber zu schreiben, damit die Betroffenen sehen, dass man es trotz der tiefsten Trauer schaffen kann, aus diesem schrecklichen Tunnel des Grauens Namens Trauer herauszukommen.
Meine Homepage ist aus dem festen Willen entstanden, anderen Trauernden durch meine persönliche Erfahrung Hilfe anzubieten und Hoffnung zu vermitteln und zu zeigen, dass das Leben nach einem Verlust durch Tod weitergeht. Selbst dann, wenn man es nicht mehr glauben kann und glauben will, weil alles so dunkel und leer um einen herum erscheint.
Der Tod einer uns sehr nahestehenden Person ist eines der traumatischsten Erlebnisse, ihm folgt die Trauer und es wird uns bewusst, wie endgültig der Tod ist.
Jeder erlebt Trauer durch den Verlust lieber Angehöriger ganz individuell. Nicht jeder trauert gleich. Die Trauer unterscheidet sich durch die Innigkeit der Beziehung, in der wir zum Angehörigen standen. Entscheidend für die Schwere der Trauer sind die inneren Gefühle, die uns mit den verstorbenen Lieben zu Lebzeiten verbunden haben und weiterhin verbinden werden.
Trauer ist das Ertragen, das Erleiden müssen des Abschieds ohne Wiederkehr.
Es ist das Bewusstsein, dass uns jemand den wir über alles liebten, für immer und unwiderruflich verlassen hat. Mit dem Tod unseres Angehörigen wurde eine Entscheidung über unserem Kopf hinweg gefällt, die unser Leben völlig aus allen Bahnen geschmissen hat. Das müssen wir erst einmal lernen zu akzeptieren, zu begreifen und zur Kenntnis nehmen.
Ob wir wollen oder nicht, wir sind gezwungen das Unwiderrufliche in unserem nun völlig anderen Lebenslauf „einzuordnen.“ Dieses ist eine so unglaublich grosse Herausforderung, dass es nicht allzu selten vorkommt, dass Hinterbliebene es nicht schaffen, sondern sie ihren verstorbenen Lieben buchstäblich "hinterher" sterben.
In meinem Freundeskreis musste ich dieses leider zweimal, bei noch recht jungen Hinterbliebenen erleben, glauben Sie mir, dass war sehr tragisch. Auch das ist ein Grund, weshalb ich hier schreibe.
Ich selbst war soweit „unten“ durch die Trauer, dass ich absolut bis ans letzte Ende meiner Kraft kam. Die Trauer frass mich innerlich völlig auf. Nach aussen war ich bemüht, Haltung zu wahren, obwohl mir auch das nur selten gelang. Immer wieder geriet ich in Heulkrämpfe und hatte richtige Schwächeanfälle. Ich kam mit nichts mehr klar, am wenigsten mit mir selbst. Irgendwie geriet ich in eine Art Spirale, in der es immer weiter hinunter ging. Nicht jeder in meinem Umfeld hat es bemerkt oder konnte es akzeptieren, dass diese gravierende Veränderung (der Tod meines Mannes) in meinem Leben tiefgreifende Folgen für mich nach sich zog.
Oftmals musste ich mit Unverständnis klar kommen.
Vielleicht resultierte dieses mangelnde Verständnis und Mitgefühl, dieses fehlende Nachempfinden mir gegenüber, einfach nur daraus, dass sie selbst eine Erfahrung dieser Art noch nicht erleben mussten. Hinzu kommt, dass viele unserer Mitmenschen Angst vor der Konfrontation mit uns Trauernden haben, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen.
Dabei bräuchten sie nichts weiter zu tun, als uns zu zeigen, dass sie uns in unserer Trauer annehmen, so wie wir in unserer Trauer sind. Manchmal ist ein schweigendes Gegenüber die grössere Hilfe, als der klägliche Versuch, tröstende Wort zu reden, die uns eh nicht erreichen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ich das Gefühl hatte, meine Seele sei ein offener, schwerverwundeter Fleischklumpen, hochgradig empfindlich und der leiseste Hauch einer falschen Berührung rief die nächsten höllischen Qualen in mir hervor. Nur das haben nicht alle bemerkt, begriffen oder bedacht.
Kamen dann noch so naive Floskeln wie: „das haben schon viele erlebt, der Tod gehört zum Leben, denk mal an den Krieg“…“ oder: „…wir trauern alle, denn wir haben mit deinem Mann auch einen lieben Menschen verloren…“
Meine Güte, das war das Schlimmste, was man mir bieten konnte und es tat weh, sehr weh. ICH trauerte doch um MEINEN Mann und nicht um all die anderen! Natürlich wusste ich, dass es auch anderen in meinem Umfeld tiefe Trauer bescherte, als mein Mann starb. Aber der Unterschied war der, dass ICH meinen Mann verloren hatte. ICH war die Erstbetroffene!
Ein anderer Schmerz war für mich, dass ich oft zu hören bekam, ich müsse wieder was unternehmen, mein Leben ginge doch schliesslich weiter.
So? Geht das Leben wirklich weiter? Zunächst bleibt es erst mal stehen!
In der ersten Trauerphase, der sogenannten Schock-Phase, ist einem nämlich alles, selbst das Leben vollkommen egal. Irgendwie funktioniert man nur noch, ohne dies zu bemerken oder gar zu wollen. Ich beschrieb es damals immer mit „atmen, um nicht qualvoll zu ersticken.“
Es gab keine Tage und keine Nächte mehr für mich, weil das ganze Leben tatsächlich mit dem Tod meines Mannes seinen Rhythmus verloren hatte. Konnte ich da wirklich so leben, als sei nichts geschehen?
Ich erinnere mich daran, wie weh es mir tat, als mir nach nur acht Wochen (zwei Monate) nach dem Tod meines Mannes, Urlaubspläne und Reiseziele mit grosser Freude vorgelegt wurden. Natürlich war es nicht mehr als recht, dass sich alle auf einen Urlaub freuten und ich gönnte es ihnen von Herzen!
Doch hier sieht man deutlich, dass meinen Mitmenschen in meinem Umfeld nicht einmal im Ansatz klar war, dass mich diese Urlaubsprospekte nicht im geringsten interessieren würden, weil sie mich schmerzhaft daran erinnerten, dass es für mich nie wieder einen Urlaub in der Form geben wird, wie ich es seit über 30 Jahren gewohnt war, nämlich Urlaub mit meinem Mann.
Egal, wie mein Mann und ich den Urlaub verlebten, ob daheim oder unterwegs, es würde niemals mehr einen Urlaub mit ihm geben, das und nichts anderes wurde mir mit den Prospekten unter die Nase gehalten.
Genauso verhielt es sich mit Weihnachten. Nur Erstbetroffene wissen, welch grausame Schmerzen und welche Brutalität das erste Weihnachtsfest ohne den geliebten Menschen an seiner Seite mit sich bringt. Dieser Schmerz gleicht fast dem Todestag selbst.
Bereits Wochen vorher hat man schreckliche Angst vor diesem Weihnachtsfest und je kürzer die Zeit zum Fest, desto mehr wächst diese Angst, weil man weiss, der geliebte Mensch ist nie mehr dabei, er nimmt nie mehr teil an diesem heiligen Familienfest.
Als ich einer Einladung zu einer Weihnachtsfeier am ersten Weihnachtsfest ohne meinen Mann, nicht Folge leisten wollte, schämte man sich nicht, mir vorzuwerfen, dass ich alles kaputt machen würde.
Ja, ich habe vielleicht kaputt gemacht, weil ich selbst durch den Tod, durch meine Trauer total kaputt war. Nein, ich klage hier niemanden an und betrachte aus heutiger Sicht vieles mit Nachsicht, denn sie wussten nichts von der Heftigkeit meines Schmerzes und meinten es in gewisser Weise gut mit mir, ohne tiefer darüber nachzudenken.
Ich möchte hier nur deutlich machen, wie verletzlich man einerseits durch die Trauer ist und zweitens, wie schnell der gewöhnliche Alltag bei den Mitmenschen wieder präsent ist.
Das Verhalten meiner Mitmenschen war für sie selbst normal und sicherlich waren sie nicht darauf bedacht, mir weh zu tun, doch sie taten es, sehr oft sogar, weil sie es wohl nicht besser wussten.
Im gleichen Moment befand ich mich, wie gesagt, damals psychisch schon in einer sehr gefährlichen Spirale, ohne es selbst wirklich zu realisieren. Ich rutschte immer tiefer in diese Spirale und begriff nicht, welcher Gefahr ich mich selbst damit aussetzte, denn ich war auf dem besten Weg meinem Mann zu folgen, ja, ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen.
Just in jenem Moment, als ich die letzte Kurve in der Spirale erreicht hatte, gab es eine seltsame Verstrickung kurioser Umstände, die mich davon abhielten eine grosse Dummheit zu tun.
Es war der Tag, an dem ich meinen Lebensgefährten zum ersten Mal begegnete. Diese Begegnung war und bleibt für mich bis heute nicht von dieser Welt, ganz sicher nicht! Natürlich war in unser beider Situation zunächst eine Beziehung ausgeschlossen.
Unser Schmerz über das, was wir beide verloren hatten war viel zu gross, als dass da noch ein Platz für irgendwelche anderen Gefühle gewesen wäre.
Nein, die Trauer hatte uns zu dem Zeitpunkt noch sehr fest im Griff. Aber mein Lebensgefährte berührte mich im Innern mit seinem Schicksal und das war gut für mich, weil es mich wachrüttelte und von dem Unfug abhielt, der meine Gedanken und mich vollkommen beherrschte und vor der unmittelbaren Umsetzung war.
Mein Lebensgefährte hatte noch zwei Kinder zu Hause, die sein einziger Halt und seine Kraft waren. Kinder, die in einem prägenden Alter, noch auf ihre Mutter angewiesen waren und sie auf gleiche schreckliche Weise verloren hatten, wie ich meinen Mann. Sie mussten viel Schreckliches mit dem Krebs ihrer Mutter erleben.
Wie sehr Kinder normalerweise an ihre Mutter hängen und was der Verlust für sie bedeutet, erübrigt sich wohl jedes weiteren Kommentares.
Mein Lebensgefährte und ich sprachen dieselbe Sprache, es war die Sprache der Trauernden. Wir hörten einander zu in vielen, vielen Gesprächen und plötzlich spürten wir wieder ein wenig Leben und dass doch noch nicht alles in uns gestorben war. Wir lernten, dass man wieder oder trotzdem lachen darf und wir entdeckten unglaublich viele Gemeinsamkeiten und das wichtigste: Ganz langsam bekamen wir wieder vertrauen zum Leben.
Das Schicksal nahm allmählich seinen Lauf. Allerdings muss ich sagen, dass ich ohne meine professionelle Betreuung und Unterstützung nie den Mut zu diesem wundervollen Neuanfang gehabt hätte, denn ich dachte von mir selbst, ich sei nicht mehr ganz normal!
Oh doch, ich war sehr normal, nur in meinem näheren Umfeld konnten nicht alle mit meinem Neuanfang umgehen und klar kommen. Sie verurteilten mich ohne das Recht zu urteilen. Sie waren ja nicht in meiner Situation und vielleicht war ihnen überhaupt nicht klar, das ein Neuanfang nicht das Geringste mit meiner/unserer Trauer (sie blieb) und erst recht nichts mit der Liebe zu unseren verstorbenen Partnern zu tun hatte, absolut NICHTS!
Aber es war ihr Problem, wenn sie damit nicht umgehen konnten, es war nicht mein Problem. Mein Gewissen war rein und ich fühlte dass ich wieder Leben durfte. Durch die professionelle Hilfe, die mir permanent zur Seite stand, lernte ich, auf mein Inneres zu hören und nicht auf die Menschen, die mir einerseits sagten, ich müsse mal was für mich tun und jetzt wo ich etwas für mich tat, ihren Unmut darüber kundtaten.
Ich weiss, dass Trauer blind macht, doch hier war nicht ich die Blinde. Sie haben die Trauer einzig an der Zeit bemessen und mich dabei übersehen. Sie vergassen, dass ich noch jung bin/war und alleine weiterleben muss, noch einmal ganz von vorne anfangen musste, wenn ich weiter- oder überleben sollte.
Es war ein verdammt schwerer und harter Weg für mich, doch ich bin ihn gegangen, weil ich plötzlich wieder am Leben hing, ich hatte ja inzwischen auch wieder allen Grund zum Leben!
Es gibt für die Zeit der Trauer keine zeitliche Bemessung. Wer einen lieben Angehörigen verloren hat, der trauert für den Rest seines Lebens. Die Trauer vergeht niemals, sie verändert nur ihr Gesicht und verwandelt sich durch viele schöne Erinnerungen ins erträgliche, man lernt damit zu leben und kann das Leben trotzdem geniessen. Dieser Prozess braucht sehr viel Zeit und kostet zudem ungeheure Kraft.
Die Trauer erleben wir in verschiedenen Phasen und jede einzelne Phase ist bei jedem unmittelbar Betroffenen anders und unterschiedlich lang. Es gibt hier keine Norm an die man sich halten müsste, sollte oder könnte. Glaubte man früher Hinterbliebene müssen ein Jahr lang trauern, am besten noch ihre Trauer nach aussen zur Schau zu stellen, durch schwarze Kleidung, die sie zu tragen hatten, so ist das meines Erachtens der grösste Schwachsinn überhaupt!
In der ersten Zeit nach dem Tod meines Mannes konnte ich rein von meinen inneren Gefühlen her überhaupt keine bunten Farben ertragen. Niemand hätte mir vorschreiben können, wie ich mich zu kleiden hätte, ob schwarz oder nicht, nein, meine Gefühle bestimmten es.
Mir taten bunte Farben rein vom Gefühl her unglaublich weh, wirklich, die bunte Welt war schmerzhaft in meinem Empfinden, genauso wie Musik auf mich verletzend wirkte.
Es gab sehr vieles in meinem Umfeld, in meiner Umgebung, was ich plötzlich nicht mehr ertragen konnte, weil es wirklich tiefe seelische Schmerzen in mir hervor rief.
Natürlich war mir damals nicht klar, dass genau das zur Trauer gehörte, denn so, in dieser Form musste ich Trauer noch nicht erleben. Menschen, die ich sehr liebte, die mir persönlich von grosser Bedeutung waren, hatte ich zuvor schon einige verloren. Aber den Menschen zu verlieren, den man über alles liebt, den man mehr liebt, als sein eigenes Leben, das ist ein himmelweiter Unterschied.
Nein, Trauer kann man absolut nicht in Zeiträume bemessen, ausschliesslich Trauerphasen bestimmen unseren Alltag und das weitere Geschehen mit uns Hinterbliebenen.
Nie weiss man, wann einen die nächste Trauerphase erwischt und wie heftig sie sein wird.
Der Trauer geht vieles voraus, so gehört auch der Weg des Sterbens , des allmählichen Loslassens dazu.
Ich denke, mein Mann und ich bekamen mit der Krebsdiagnose zwei Jahre Zeit, um uns zu verabschieden, vielleicht war es uns geistig nur nicht bewusst. Ich sage deshalb vielleicht, denn wer weiss schon, was in unseren Seelen vor sich ging. Als mein Mann die Krebsdiagnose bekam, er hatte eine sehr aggressive Krebsart, brach zum ersten Mal buchstäblich eine Welt zusammen, damals noch für uns beide. Nach der Konsultation und dem Gespräch mit dem Arzt, hatte ich vermutlich genauso einen schweren Schock wie mein Mann. Mir ist nur noch einzig das Bild in Erinnerung, wie mein Mann plötzlich kreidebleich wurde. Aber wie wir dann von der Klinik den Weg vom Krankenhaus bis nach Hause fuhren, daran fehlt mir die Erinnerung bis zum heutigen Tage.
Nach der Krebs - Diagnose folgten zwei Jahre Krebs mit Chemotherapie und Bestrahlung. Hoffen, Angst, Enttäuschungen, wieder hoffen, sich gegenseitig Mut machen, erfreuliche Untersuchungs-Resultate, niederschmetternde Resultate, Vorschriften jeglicher Art und immer wieder ein auf und ab im Krankheitsverlauf. Somit auch ein ständiges Wechselbad der Gefühle.
Liebe Menschen haben uns während dieser Zeit geduldig und mit wirklich wunderbarer Unterstützung begleitet, ihnen gilt mein aufrichtiger Dank an dieser Stelle!
Doch wirklich gelebt haben nur mein Mann und ich diese verdammte Krankheit, Tag und Nacht, 24 Stunden lang in den letzten zwei Jahren unseres Zusammenseins.
Trotz der Krankheit hatten wir noch viele wunderschöne und sehr glückliche Momente, die ich nie vergessen möchte. Mein Mann zeigte moralisch unglaubliche Stärke. Seine Sorge galt immer und immer wieder mir, was wohl aus mir wird, wenn er mal nicht mehr bei mir sein könnte. Mir gegenüber äusserte er das erst so ziemlich zum Schluss, kurz vor seinem Tod, aber ich weiss, dass er sich diesbezüglich schon längst anderen Personen anvertraut hatte.
Selbst als er wohl, schon wusste oder zumindest ahnte, dass er gehen muss, versuchte er mich in meinem Glauben zu stärken, dass er wieder gesund wird.
Mein geliebter Mann, er war so stark für mich…!
Wenige Wochen vor seinem Tod gab er mir mit auf dem Weg, dass ich mich um mich und niemand anderes kümmern solle. Ich solle mein Leben leben, endlich an mich denken, nicht immer nur an andere und ich soll zusehen, dass ich von dort fortkomme.
Es ist mir unbegreiflich, dass ich seine Worte zwar hörte, aber überhaupt nicht verstanden, begriffen habe, was er meinte. Ich glaubte so sehr daran, dass er vom Krebs geheilt werden kann, es war ein Wunschgedanke, der unerfüllt blieb.
Hinzu kommt, ich wäre nie und nimmer bereit gewesen, mein Leben zu ändern, meine Heimat zu verlassen. Um Gottes Willen, das war für mich undenkbar und vollkommen ausgeschlossen. Doch mit der Trauer veränderte sich all das, was ich selbst niemals für möglich gehalten hätte. Gefühle in mir sind einerseits gestorben, andererseits ist eine gewisse Kraft und Stärke in mir eingezogen und neu erwacht.
Ich glaube daran und bin heute fest davon überzeugt, dass mir mein Mann diese Kraft und Stärke zurück liess, damit ich meinen Weg ohne ihn schaffen kann.
Doch diese Kraft und Stärke hatte ich in der ersten Zeit der Trauer überhaupt nicht. I
ch war schwach, gebrochen, als hätte ich alle meine inneren Organe und alle Gliedmasse auf einen Schlag verloren. Dieser Schmerz in mir, der sich durch den Tod meines Mannes einstellte, ist nicht mit Worte zu beschreiben, mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil es nie jemand verstehen kann und verstehen wird, der nicht in genau gleicher Situation gewesen ist.
All jenen, die nun leider genau das erleben, durchleben müssen, was einige Jahre hinter mir liegt, denen wünsche ich ganz viel Kraft und glauben Sie daran, Sie werden es schaffen!
Im Moment sind Sie in einem schrecklichen, langen und unheimlich dunklen Tunnel, aber Sie werden wieder Licht sehen. Geben Sie sich die Zeit, die Sie alleine für sich benötigen und lassen Sie sich in nichts und zu nichts von ihren nächsten Angehörigen drängen. Achten Sie nicht auf vermeintlich gutgemeinte Ratschläge, wenn Sie Sie verletzen. (mir sagte eine liebe Freundin, Ratschläge sind auch Schläge, da ist viel Wahres dran!).
Hören Sie nur auf sich, auf Ihre innere Stimme und tun Sie das, was IHNEN allein gut tut, egal ob ihr Umfeld es richtig findet oder nicht. Ihr Umfeld kann Ihren Schmerz nicht annähernd fühlen und muss ihn (zum Glück) auch nicht ertragen. Ihre Angehörigen meinen es sicherlich ehrlich mit Ihnen und möchten ihnen Liebe geben, um zu zeigen, dass Sie sie nicht allein lassen in Ihrer Not. Sie wollen Ihnen helfen und wissen es nicht anders, als so zu handeln, wie sie es tun. Wenn Ihnen diese Hilfe gut tut, dann nehmen Sie sie getrost an.
Jedoch, ihre Angehörigen werden Sie leider nicht immer verstehen können, denn der schwere Verlust lässt Ihr Herz nun eine andere Sprache sprechen. Darum dürfen Sie nicht enttäuscht sein, wenn Ihre Angehörigen in Bezug auf Ihre Trauer anders denken, als Sie. Ihre Angehörigen wollen ganz sicher nur das Beste für Sie, ohne daran zu denken, dass es vielleicht nicht IHR Bestes sein könnte!
Ihre Welt ist nicht mehr die, die sie vorher war, in Ihnen spricht mit Pauken und Trompeten die Sprache des grössten Schmerzes, den ein Mensch erleiden kann, in einer Lautstärke, wie sie kaum auszuhalten ist. Es ist die Trauer, die für einen Moment alles bestimmt. Wie sich dieser Schmerz anfühlt, kann sich niemand auch nur im Geringsten vorstellen, der nicht in absolut gleicher Situation und Position ist wie Sie.
Glauben Sie an sich, nicht Sie sind "verrückt", sondern die Welt um Sie herum ist "ver...(ent-)rückt" (verrutscht). Alles um Sie herum ist zusammengebrochen, wie nach dem heftigsten Erdbeben aller Zeiten. Geben Sie sich die Zeit, die Sie nun dringend brauchen, um wieder aus den Trümmern hervorzukriechen. Die Trauer braucht Zeit. Tun und handeln Sie so, wie es Ihnen dabei gut geht.
Niemand, nur Sie allein fühlen den Schmerz, den Sie nach dem Verlust Ihres verstorbenen Lieben nun ertragen müssen. Sie dürfen weinen, schreien, rufen, anklagen.
Niemand muss Sie verstehen, Sie selbst wissen, was Sie zu all diesen Handlungen treibt - es diese unsägliche Trauer.
Aus eigener Erfahrung möchte ich Ihnen folgendes empfehlen:
Nehmen Sie professionelle Hilfe an, die Sie sicherlich durch ein Hospiz in Ihrer Nähe finden werden. Dort wird meistens auch eine Trauerbegleitung angeboten, zumindest kann man Ihnen dort insofern weiterhelfen, dass man fachliche Hilfe für Sie organisiert.
Ohne fachliche Hilfe hätte ich es niemals geschafft. Viele meiner mir sehr nahestehenden Angehörigen waren mit mir vollkommen überfordert, sie trauerten ja selbst auf ihre eigene Weise und hatten nicht das Verständnis für mich, dass ich gebraucht hätte.
Das ich aber diejenige war, die wirklich alles verloren hatte, was ein Mensch nur verlieren kann und das dieser Verlust auch Sterben in mir selbst bedeutete, dass konnten sie nicht wirklich begreifen. Zudem hatten sie heftige Probleme damit, dass ich von einer Stunde zur anderen nicht mehr die Person war, die sie ein Leben lang kannten.
Wie konnte ich denn auch noch die gleiche Person sein? Ein Teil von mir war nicht mehr da, ein Teil von mir war tot!
Heute bin ich meinem Umfeld dankbar für die Erfahrungen des Umgangs mit mir in meiner Trauer. Unbewusst verhalfen sie mir alle, meinen neuen Weg zu gehen, sie kappten die letzten Wurzeln, die mich in meiner Heimat gehalten hätten.
Trauer macht hilflos, Trauer macht wütend, Trauer macht blind, Trauer tut sooo furchtbar weh. Doch Trauer ist geboren aus Liebe – aus Liebe zu dem Menschen, der uns für immer verliess.
Nein, niemand verlässt uns für immer, wir werden uns in der anderen Welt wiedersehen.
Und so lange bleiben wir in Verbindung, wir alle…
In diesem Sinne
herzlichst
Nati Merlin