GB Bild - Engel


 

Spuren im Leben – Spuren im Sand  
 
Kapitel 1
 
Meine Pläne sind nicht Deine Pläne.
Meine Gedanken sind nicht Deine Gedanken.
Mein Weg ist nicht Dein Weg.
Ich muss mich Deinem Willen fügen,
denn ich sprach im Gebet:"Dein Wille geschehe..."
Herr, ich vertraue darauf, dass Du mir Deine Engel schickst,
die mich auf meinen Wegen tragen
und in der Nacht ein Licht anzünden,
damit ich nicht länger in Dunkelheit wandeln muss...
 
Es war Nacht um mich, finster und bitterkalt. Jene Zeit, die damals plötzlich und unerwartet zu meinem Schicksal gehörte, habe ich so nicht gewollt. "Dein Wille geschehe..." Aber mein Gott, doch nicht so, dachte ich damals in meiner tiefen Verzweiflung! Mein Gott, warum lässt du das zu? Ich denke, es war und ist Gottes Wille, was um mich herum geschah und was immer geschehen wird. Ich glaube an eine Macht, die unseren Weg bestimmt den wir gehen müssen. Aber warum, warum so ein schmerzhaftes Schicksal? Warum so ein entsetzliches Leid, dass uns an die Grenzen unseres eigenen Ichs bringt? Warum geschah dieses alles?
Waren wir nicht ehrfürchtig und gläubig genug und sollten einen heftigen Dämpfer bekommen? Was war mit all der Nächstenliebe, die wir in vielen Jahren unserer Ehe anderen Menschen immer wieder selbstlos entgegenbrachten? Hatten wir nichts anderes dafür verdient, als diese verdammte Krankheit? War dieses grausame Schicksal jetzt unser Lohn dafür? Warum tat Gott uns das an, ausgerechnet uns, die wir immer aufrichtig und ehrlich Seite an Seite gingen?
Ich verlor damals fast den Verstand, als mein Mann diese schreckliche Diagnose Lungenkrebs bekam. Aus heutiger Sicht ist mir klar, dass es nicht Gott war, der uns das antat, sondern, dass all das, was immer wir erleben und durchleben, zu unserem irdischen Weg gehört. Die Not in der ich damals steckte, machte mich blind, ich konnte nicht mehr klar zwischen Gott und meinem Weg des Schicksal unterscheiden. Ich hoffe, dass Gott mir für meine damalige Wankelmütigkeit längst verziehen hat. Ja, damals sah ich nur, dass wir in einen tiefen Abgrund geraten sind, der uns immer weiter in eine Dunkelheit brachte, die uns umschlang, den Atem nahm und finsterer war, als jede zuvor erlebte Nacht. Es war sehr, sehr dunkel geworden, wir sahen kein Licht mehr und wir fühlten uns auch nicht von Engeln getragen. Wo war Gott? Wo waren seine Engel, die uns laut Psalm 91 auf ihren Flügeln tragen, damit wir unseren Fuss nicht an einen Stein stossen?  Und hatte ich nicht mit Psalm 23 gelernt:"Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich keine Unglück, den dein Stecken und Stab trösten mich..." Nun sah ich das grosse Unglück und fürchtete mich entsetzlich davor. Es war von medizinischer Seite diagnostiziert und besiegelt! Wir fürchteten uns vor dem, was da auf uns zu kommen würde. Wird Gott bei uns sein, auf diesem unbekannten Weg durch diese Dunkelheit? Warum passiert uns das? All die Worte des Glaubens an Gott, alle Gebete, Verse, egal was ich einst lernte, Worte, die Gott uns, wie auch immer, zukommen liess, trösteten mich jetzt nicht mehr und gaben mir keinen Halt mehr. Mein Glaube war geschwächt, all das was mich zuvor einst aufrecht hielt, in Schicksalstagen immer wieder Hoffnung vermittelte, machte mir damals in Anbetracht der Krebsdiagnose keinen Sinn mehr. Ich verstand die Welt, ja ich verstand auch Gott nicht mehr! Aber ich verstand nun die Verzweiflung und die Anklage von Jesu am Kreuz, der da sagte:"Mein Gott, warum hast du mich verlassen...", denn auch ich fühlte mich plötzlich einsam und ganz und gar von Gott verlassen. Trotzdem betete ich völlig verzweifelt immer wieder, ich beschwor Gott regelrecht, mich in meinen Ängsten und Nöten zu erhören und meinem Mann in seiner Krankheit, in seinem Schicksal zu helfen.
 
 
Wir waren dazu verdammt, durch eine Hölle zu gehen! Ein grausamer Weg lag vor uns. Wie schwer muss dieser Weg wohl für meinen Mann gewesen sein? Er kämpfte so mutig und tapfer gegen diese grausame Krankheit an!
Meine Güte, dabei hatten wir noch so viele Pläne, wunderschöne Träume, die wir gemeinsam erleben wollten... Aber dann brach diese Katastrophe über uns herein, die alles, was wir uns für die Zukunft erträumten, nicht nur in Frage stellte, sondern völlig über den Haufen warf. Nicht nur mein Mann musste diese fürchterliche Diagnose begreifen, sondern auch ich. Nach einem anfänglichen Schock, der mich nahezu lähmte, schmiedete ich fest entschlossen und kampfbereit, unaufhörlich Pläne gegen diesen Teufel Namens Krebs. Wir mussten uns wehren, etwas machen, wir durften jetzt nicht resignieren! Nein, nur nicht aufgeben! Und vielleicht war ER - Gott - doch da und würde uns helfen. Vielleicht war diese Krankheit nur ein Prüfstein auf unserem Weg, eine Prüfung, die wir irgendwie bestehen, überstehen würden. Also überlegte ich mir genau, wie ich vorgehen sollte. Ich besprach mich in vielen Gesprächen mit meinem Mann. Er hatte nur immer Sorgen um mich in dieser ganzen Krebsgeschichte. Ich versprach ihm stark zu sein und immer an seiner Seite zu bleiben, egal was kommen mag.
Mein Mann war nun im höchsten Masse herausgefordert, sich um sich und seinen Körper zu kümmern und ich konnte ihm vielleicht auf eine ganz andere Weise helfen. Wie besessen glaubte ich daran, herausfinden zu können, dass es ausser dieser Chemie, noch andere Möglichkeiten geben muss, die diesen Krebs töten könnten. Nichts konnte mich aufhalten und daran hindern, eine Welt aus den Angeln zu heben. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es irgend etwas geben muss, dass meinen Mann wieder gesund werden liess. Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf setzte, gab es für mich keinen Halt mehr. So begann ich Tag und Nacht Fachliteratur und Erfahrungsberichte zu studieren. In sämtlichen Fachbüchern, die ich irgendwie und irgendwo erstehen konnte, las ich alles über die Erfahrung mit dieser Krebsart, den Fortschritt damit in Forschung und Therapie. Parallel dazu stöberte ich nächtelang im Internet, hielt Dauergespräche mit vielen Ärzte in aller Welt, um mich für die Schlacht gegen diesen verdammten Krebs zu rüsten. Zudem nahm ich Kontakt zu einem Cousin meines Mannes auf, er ist Professor und Dozent an einer grossen Universität und zufälliger Weise Facharzt in der Pneumologie. Ich war zuversichtlich und ganz fest davon überzeugt, dass wir den Krebs besiegen würden! Und Gott wird mit uns sein!  Um unseren Glauben nie wanken zu lassen befestigte ich ein Bild mit einem Sonnenaufgang und folgendem Vers von Dietrich Bonhoeffer an unserer Wohnzimmertür:
 
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
 
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
 
Ja... ich habe geglaubt, ich habe gehofft und ich war so überzeugt! Mit Bestimmtheit kann ich sagen, dass es meinem Mann genauso ging wie mir, wir glaubten beide an Heilung! Er wusste, dass er eine  der aggressivsten Krebsarten hatte ( jeder Krebs ist aggressiv, sicherlich, aber er hatte das kleinzellige Karzinom!). Die Diagnose versetzte ihm einen gewaltigen Schock, doch mein Mann fing sich nach ein paar Tagen und er war zum Kampf bereit. Der Krebs sollte ihn nicht in die Knie zwingen. Mein Mann sagte sehr oft zu mir:"Weisst du Nati, wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft, der hat schon verloren. Es wäre doch wohl gelacht, wenn wir das nicht wieder hinkriegen! Ich werde wieder gesund, ganz sicher! Mach dir keine Sorgen um mich, wir schaffen auch diesen Schicksalsschlag, wie wir alles andere auch geschafft haben! Gemeinsam sind wir beide stark!"
Sobald jemand auch nur andeutete, dass wir diesen Kampf gegen den Krebs vielleicht verlieren könnten, wies ich ihn aufs schärfste und heftigste zurück. Ich konnte und wollte es nicht zulassen, dass man uns in unserer Zuversicht und Überzeugung verunsichert. Gemeinsam würden wir es schaffen, zusammen waren wir stark, ein richtiges Team, wie mein Mann immer sagte, und nur das zählte jetzt noch! Wenn wir nur alles herausfinden und alles tun, damit mein Mann die richtige Behandlung bekommt, Selbstheilungskräfte mobilisieren kann und psychisch stabil bleibt, dachte ich, dann gibt es keinen Zweifel mehr, dann wird er wieder gesund! Nichts konnte an meiner Überzeugung rütteln, dass wir ein Präzedenzfall sein werden, ja, dessen war ich mir ungeheuerlich sicher, mein Mann wird zu den wenigen Ausnahmen gehören, die diesen Krebs besiegen! So gut ich nur konnte, versuchte ich meinen Mann zu stärken, vor allem moralisch und ich verbarg all meine Ängste und Sorgen um ihn, vor ihm, um ihn nicht mit meinen Ängsten zu verunsichern. Meine Seele schrie gepeinigt vor Angst und mein Herz drohte an den Qualen zu zerbrechen, doch ich riss mich zusammen und tat alles, was in meiner Macht war und manches Mal sogar Dinge, die meine Kräfte vollkommen überschritten. Ich weinte im verborgenen, manches Mal leise in mein Kopfkissen, in der Nacht, wenn ich neben ihm lag und vor Angst um ihn und diesem Krebs nicht einschlafen konnte. Manches Mal weinte ich am Herd beim Kochen - da konnte ich ja dann behaupten, dass mir der Dampf in die Augen gestiegen sei oder die Zwiebeln beissen. Diese Angst, ihn zu verlieren, diesen wundervollen Menschen, der mir mehr bedeutete als mein eigenes Leben, diese Angst, ihn nicht mehr an meiner Seite zu haben, frass mich tief im inneren förmlich auf. Ich gab alles auf was mir einmal wichtig war, um nur noch für meinen Mann da sein zu können. Er merkte es natürlich und hat mich oft darum gebeten, doch wieder zu malen oder zu schreiben, etwas für mich zu tun, damit ich wieder Freude habe. Er möchte so gerne mein Lachen hören, das sagte er so oft. Doch es fiel mir schwer in Anbetracht unserer Situation zu lachen. Und er sagte, dass ich ihm keine grössere Freude machen könne, als wenn ich mich mit der Gitarre zu ihm setze und für ihn singen und spielen würde. Alles wollte ich tun, damit er glücklich ist und Freude empfand. So versuchte ich tapfer für ihn zu musizieren. Ich wollte schöner singen als je zuvor, doch vielmals erstickte meine Stimme ob der Tränen, die ich mühsam unterdrückte, die mir die Kehle zuschnürten. All die schönen Lieder, die wir einst gemeinsam hörten, die ich nun für ihn spielte und sang, taten mir innerlich furchtbar weh. Wie konnte ich singen und fröhlich sein in dieser ungewissen Zeit unseres Schicksals? Der Schmerz in meiner Seele über unser Schicksal war manches Mal kaum noch zu ertragen, doch ich wollte so stark sein, nur für ihn. Meine Psychologin sagte einmal zu mir:"Sie sind ziemlich am Ende ihrer Kräfte angekommen, merken sie das denn nicht? Meine Güte, sie müssen auch auf sich selbst sehr gut acht geben, ihre Kräfte sind nicht unbegrenzt. Wenn sie so weiter machen, wie bisher, dann verliert ihr Mann sie an ihrer Erschöpfung und er hat dann erst recht keine Chance mehr ohne sie diesen Kampf zu gewinnen. Er würde es in seiner jetzigen Situation nicht verkraften, sie zu verlieren." ( Ich hatte ihr immer erzählt, WIE und in WELCHER Form ich mich für die Heilung meines Mannes einsetzte). Sie meinte dann noch: "Sie wollen ihrem Mann nicht nur helfen, nein, sie wollen ihn retten, aber das liegt leider nicht in ihrer Hand."
 
Sogar in der Ernährungsweise stellte ich alles um, ich studierte auch hier wie besessen, welche Nahrungsprodukte den Krebs "aushungern" lassen und welche ihn "füttern". So lernte ich alles über Obst und Gemüse, die gesündeste Zubereitungsform und mein Mann bekam nur noch von mir aufgetischt, was den Krebs schädigte. Ich bestellte übers Internet sogar Saft der Aroniabeere, er kostete damals ein kleines Vermögen, doch für die Gesundheit und all das, was der Genesung zu Gute kommen konnte, war uns nichts zu teuer. Unmittelbar nach der Chemo kochte ich für meinen Mann nur nach seinen Essgelüsten, die tatsächlich so dann und wann aufkamen und mein Mann liebte meine Küche. Er behauptete immer, dass es in keinem Restaurant so gut wie bei uns zu Hause schmecken würde. Er war vor seiner Krankheit tatsächlich, ein Feinschmecker und ein sehr guter Esser.
 Natürlich gab es jetzt in meiner Küche nur alle Nahrungsmitteln die "krebstötend" sein sollten - ich hatte ja alles ausfindig gemacht, was gut und was schlecht bei Krebs ist. Es gab so unendlich viele Sachen, die mein Mann früher sehr gerne gegessen hat und laut meines "Krebsstudiums" auch unbedenklich weiter essen konnte. Doch sobald das Essen gekocht vor ihm auf dem Tisch stand, waren seine Essgelüste verschwunden und ihn plagte nur noch diese enorme Übelkeit, die allseits nach einer Chemo auftritt. Schon der Geruch des Mittagessens löste einen regelrechten Ekel vor allen Speisen in ihm aus, egal wie sie zubereitet waren. Es war grausam zu erleben, wie ich mit Hingabe das feinste Gericht für ihn zubereitete, er sich riesig darauf freute, dann stand der gefüllte Teller vor ihm und es ging plötzlich sehr, sehr schlecht. Immer wieder plagten ihn stundenlange Übelkeit und Brechreiz, sobald er nur ans Essen dachte. Ich musste hilflos zusehen, wie sehr diese Chemo meinen Mann schwächte. Doch mein Mann war so stark, er gab sich nur ganz selten und dann für wenige Augenblicke dieser Schwäche hin. Nie beklagte er sich oder jammerte er auch nur ein einziges Mal über sein Befinden. So oft er konnte arbeitete er in unserem Garten, bastelte an irgendwelchen Geräten herum, arbeitete in seiner Werkstatt und er erfand und baute und schweisste sogar einen selbst konstruierten Schwenkgrill.
Ein halbes Jahr lang dauerte die Chemotherapie, in der wir nur mit Klinik, Ärzten und nach den Blutwerten meines Mannes lebten. Nicht immer verlief alles reibungslos, es gab immer wieder mal Komplikationen. Es war ein ständiges Auf und Ab, ein Hoffen, ein Bangen, Freude und niederschmetternde Enttäuschungen und kaum auszuhaltende Ängste, Tag und Nacht! Wie ich es geschafft habe, diese Zeit zu überstehen, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich schlief in dieser Zeit nur noch sehr, sehr wenig, denn nachts fand ich keine Ruhe, aus lauter Angst vor dem, was passieren wird. Ich hatte zudem auch immer wieder Angst, dass die Atmung meines Mannes aussetzt - schliesslich hatten wir im Aufklärungsschreiben zur Chemo gelesen, dass ein plötzliches Versagen von Herz und Kreislauf eine nicht seltene Nebenwirkung der Therapie ist, so wie es noch sehr viele andere schreckliche Nebenwirkungen gab. Wenn mein Mann schlief, setzte die Atmung oftmals aus, bis ihn ein Hustenanfall zum Weiteratmen zwang. Immer lauschte ich auf die Atemgeräusche, denn uns wurde auch gesagt, dass der Tumor in der Lunge zu bluten beginnen und mein Mann daran ersticken könnte. Am Tag konnte ich nicht ruhen, da ich vieles, was mit seiner Krankheit und den Ärzten zu tun hatte, organisieren musste und ich kochte obendrein täglich vielerlei Gerichte. Hinzu kam, dass ich Kuchen, Brot, Kekse und sonst noch was backte, in der Hoffnung mein Mann könne irgend etwas davon essen, bzw. vertragen. Es war die Hölle, mit allem drum und dran!
 
Doch nach einem halben Jahr geschah dann für uns alle unerwartet tatsächlich ein kleines Wunder, selbst für die Ärzte. Der Tumor hatte sich in einem grossen Ausmass zurückgebildet, wenn er überhaupt noch existierte und nicht nur totes Narbengewebe im CT zu sehen war! So erklärte man es uns in einem Gespräch mit Oberarzt und Professor höchstpersönlich und voller Freude. Man gratulierte uns zu diesem tollen Erfolg.
Hatten wir wirklich den Kampf gegen diesen grausamen Teufel Namens Krebs gewonnen? Hatten wir diesen Krebs tatsächlich überlistet? Sollten wir am Ende gesiegt haben?
 
Fortsetzung folgt in Kapitel 2…
 
 
 
 
 
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