Trauerverarbeitung – Trauerbearbeitung - ein Weg der Zeit und Geduld

Zunächst frage ich mich einmal, ob in der Trauer überhaupt von Trauerverarbeitung gesprochen werden kann? Meines Erachtens kann man Trauer nicht verarbeiten, denn sie bleibt in gewisser Form für den Rest des Lebens in uns, unmittelbar Hinterbliebenen eines lieben Verstorbenen, in veränderlicher Form vorhanden.  Unter verarbeiten verstehe ich etwas anderes: Ich verarbeite einen Kuchenteig, oder ich verarbeite Fleisch zu Wurst, doch Trauer? Nein, ich denke, Trauer kann man nicht verarbeiten, Trauer muss man bearbeiten. Trauer verändert durch das stetige bearbeiten mit der Zeit ihr Gesicht, ihre Macht und Intension. Das habe ich inzwischen selbst erfahren, aber ich denke, die Trauer wird niemals ganz enden.
 
Mittlerweile stehe ich inmitten eines ganz neuen Lebens und  bin wieder sehr glücklich. Dieser neue Weg, die ersten Schritten dazu, waren nicht leicht für mich, zumal ich auf wenig Verständnis im unmittelbaren Umfeld stiess. Mir sonst so treue Menschen konnten mit mir in meiner Trauer nicht mehr umgehen, noch viel weniger dann, als ich begann aus der Trauer aufzustehen und mich einem neuen Leben mit meinem Lebensgefährten zu zuwenden. Von meinen lieben Mitmenschen um mich herum bekam ich jedoch direkt kurz nach dem Tod meines Mannes immer zu hören, dass ich nach vorne schauen solle, denn das Leben ginge ja immer weiter, auch für mich. Wie dumm für mich diese Floskeln zum damaligen Zeitpunkt klangen und wie weh sie mir damit taten, verschwieg ich ihnen gegenüber, denn sicher war es nicht von ihnen gewollt, mich derart zu verletzen. Dennoch fühlte es sich für mich immer wieder an, als würden sie Säure mit diesen Worten in meine offene, eitrige Wunde giessen. Es zeigt, dass man mit Trauernden sehr behutsam umgehen sollte, weil man nicht genau weiss, wie empfindsam Trauernde in ihrer Trauer sind.
 
 „Es wird wieder schön, nur ganz anders“, so sagten es mir die Damen von der Trauerbegleitung natürlich auch immer wieder. Damals, in der ersten Zeit der Trauer,  wollte ich das eigentlich auch nicht hören, denn ich hätte es niemals geglaubt. Wie konnte, ja, wie sollte denn mein Leben wieder schön werden? Was sollte an meinem Leben überhaupt noch schön sein. Ich fühlte doch nur Schmerz und Qualen! Das was mir zu einem schönen Leben fehlte, war einzig mein Mann. Wirklich, so allein, ohne ihn… wie konnte denn da mein Leben noch einmal schön werden? Mein Blick war vernebelt, vor Trauer war ich erblindet, die Trauer beherrschte im Anfang, aufgrund ihrer Intensität, all mein Tun und Denken.
 
Doch tatsächlich, auch wenn ich es damals nicht glauben konnte oder glauben wollte, selbst wenn es für mich zu der Zeit noch so unvorstellbar  war, die Trauer hat sich wirklich und glücklicherweise  massiv geändert. Inzwischen habe ich gelernt, gut mit ihr umzugehen und mit ihr zu leben. Ich sehe es bisweilen schon mal so: Unverhofft und unangemeldet steht sie manches Mal noch vor meiner Tür und überfällt mich mit ihrem ungebetenen Besuch, meistens im ungünstigsten Moment, wenn ich eigentlich gar keine Zeit für sie habe. Es hilft nichts, dann, wenn sie einfach mal wieder so bei mir vorbeischaut, muss ich mir für sie einen Augenblick Zeit nehmen. Würde ich sie nicht zu mir ins Haus lassen, käme sie sicherlich in kürzester Zeit, noch sehr viel aufdringlicher, erneut zu Besuch. So lasse ich es lieber von vornherein zu, dass sie mir mal wieder einen kurzen Besuch abstattet und gehe liebevoll mit ihr und mir um. Ich achte auf mich, dass ich nicht die Geduld mit diesem ungebetenen Gast verliere, denn ich weiss ja, dass sie, die Trauer, ein Teil meines Lebens geworden ist. Will sie mich mal wieder besuchen, was Gott sei Dank nur noch selten der Fall ist, lasse ich sie einfach zu und erlaube ihr, einen Moment bei mir zu weilen. Ich bin dankbar, dass sie mich nicht mehr mit der brutalen Gewalt wie zu Beginn überfällt oder mit der Wucht ankommt, wie sie in den ersten Monaten nach dem Tod meines Mannes ununterbrochen daher kam und mir fast das Leben raubte. Zum Glück bleibt sie auch nie lange bei mir. Weil die Trauer nicht mehr so ein gewalttätiger, boshafter und wütender Gast ist, habe ich sie sogar umgetauft; ich nenne sie inzwischen liebevoll Wehmut.
 
Es ist völlig normal, dass diese Wehmut noch so ab und zu bei mir vorbeischaut, sie gehört zu dem wunderschönen und glücklichen Lebensabschnitt, der für mich auf grausamste Weise mit grösster Gewalt beendet wurde. Ich habe das verloren, was mir einst mein Leben bedeutete, etwas, das ich sehr liebte, das kostbarste, was ein Mensch besitzen kann und genau deshalb zog eine Zeitlang die Trauer in mein Haus ein und sass dort eine kleine Ewigkeit fest. Zu meiner grossen Freude ist sie mittlerweile wieder ausgezogen, doch hin und wieder schaut sie halt in neuer Gestalt, eben als Wehmut, bei mir vorbei, damit kann ich allerdings recht gut leben. Die Liebe zu meinem Mann, das wunderschöne, harmonische Leben, dass ich mit ihm führte, ist es mir Wert, dass ich diesen ungebetenen Gast Namens Wehmut, so dann und wann für einen kurzen Moment  in meiner Seele empfange. Wehmut tut mir nicht mehr weh, manches Mal bringt sie mir sogar einen wunderschönen bunten Blumenstrauss voller Erinnerungen als Geschenk mit.
 
Trauer ist ein Gefühl, dass zu unserem Leben gehört und das uns in sehr vielen Abschnitten unseres Lebens immer wieder einmal mehr oder weniger intensiv einholt. Trauer, ein Gefühl, wie wir das Gefühl der Liebe und der Freude kennen. Wenn ich als Kind nach einer herben Enttäuschung gedankenverloren in einer Ecke sass, fragte mich meine Mutter oft:“ Bist du traurig?“ Später fragte mich mein Mann  das gleiche, wenn er wusste, ich hatte eine Niederlage zu bewältigen, oder etwas, was ich mir vorgenommen hatte, verlief nicht so, wie ich es mir wünschte und geplant hatte. Ja, es gab und gibt sicherlich immer wieder Situationen und Momente eines Jeden im Leben, die traurig stimmen können. Verletzte Gefühle zum Beispiel machen sehr traurig. Doch all das ist nicht im Geringsten vergleichbar mit der Trauer, die uns beherrscht, wenn wir den liebsten Menschen an unserer Seite plötzlich durch Tod für immer verlieren. Schon mit der Krebsdiagnose bei meinem Mann lernte ich das Gefühl der Trauer von einer anderen Seite und Heftigkeit kennen, wie ich es zuvor (zum Glück) nie erfahren musste. Krankheiten, Niederlagen, Verluste, all das hatte ich in vielen Jahren zuvor schon des Öfteren erlebt und ich kannte auch  das Gefühl der Trauer, weil ich, mir wichtige und liebe Menschen durch Krankheit, Unfall und Tod verloren hatte.
 
Obwohl ich in all den erlebten Situationen stets schwer von der Trauer erfüllt war, war dieses Gefühl nicht mehr vergleichbar, mit dem, was sich in mir abspielte, als mein Mann diese niederschmetternde Diagnose bekam. Ich liess mir nur kurze Zeit, um dieses Trauer über die Diagnose zu zulassen, denn ich glaubte fest daran, dass es eine Chance gab, den Krebs zu besiegen und dass mein Mann wieder gesund werden würde. Nein, ich war nicht blauäugig; die Angst, meinen Mann nun für immer verlieren zu können, überfiel mich Tag und Nacht unzählige Male – und meine Seele schien noch viel mehr zu wissen, als ich nur zu ahnen vermochte. Doch ich hielt mit festem willen und aller Kraft und Gewalt dagegen. Ich betete, ach was, ich schrie innerlich förmlich zu Gott, dass er uns helfen möge, ich wusste, Gott würde meinen Mann heilen können. Ich war voller Verzweiflung und versuchte die Starke zu spielen, so gut ich nur konnte, damit mein Mann nie etwas von meinen Ängsten mitbekam, er hatte doch schliesslich genug mit sich selbst zu tun. Ich zeigte mich so, als stände ich über den Dingen – dabei verlor ich nicht nur psychisch, sondern auch physisch mehr und mehr an Kraft.
 
Ich kämpfte um meinem Mann in liebevolle Weise, indem ich versuchte gegen den Krebs „anzukochen“, mich mit allen möglichen Lektüren über Forschungsergebnisse und Anti-Krebstherapien zu belesen, stöberte stundenlang immer und immer wieder im Internet, um Neuigkeiten zu finden, die meinem Mann in der Krebstherapie helfen konnten. Ich kontaktierte ohne Hemmungen alle möglichen, vielleicht wichtigen Ärzte und Menschen, von denen ich mir Hilfe versprach, in der Hoffnung, bei ihnen irgendeine Chance auf Heilung zu finden. Vieles tat ich hinter dem Rücken meines Mannes, um ihn nicht noch mehr zu belasten oder gar zu verunsichern. Einmal sagte meine Psychologin zu mir:“ Sie wollen ihrem Mann nicht nur helfen, sie versuchen mit aller Gewalt ihn zu retten oder gar zu heilen, aber das können sie nicht, dass liegt nicht in ihrer Macht. Sein Schicksal liegt nun  in Gottes Hand und ein wenig bei den Ärzten. Doch wenn sie so weiter machen, wird er sie aufgrund völliger Erschöpfung verlieren und dann hat er erst recht keine Chance mehr.“
 
Ich wollte es damals nicht glauben, was ich da gesagt bekam  und versuchte weiterhin alles möglich, was meinem Mann guttun oder helfen konnte, in die Wege zu leiten, sofern ich es nicht selbst fertig brachte. Ich rannte Welten ein, es war ein erbitterter Kampf, den wir schlussendlich verloren haben. Nein, ich habe immer gesagt, mein Mann hat keinen Kampf verloren. Er war verdammt tapfer, trotz allem immer gut gelaunt und mutig. Sein Motto war:“Wer kämpft kann verlieren, doch wer nicht kämpft, der hat schon verloren.“ Diese Worte werde ich nie vergessen. Lange bevor er wirklich von der Erde ging, hat er gewusst, dass er gehen muss, mich hat er mit dem wissen verschont. Er hat sich geschickt aus den Fängen des Krebses befreit, ich bin stolz auf ihn, dass er alles mit so grosser Tapferkeit bewältigt hat. Er hat mich nicht wirklich allein gelassen,  er wusste, dass er mir seine Liebe und seine Kraft zurücklässt, damit ich meinen neuen Weg ohne ihn gehen kann. Er hat mir vertraut.
 
Nun sage ich ganz bewusst, ich habe die Trauer nicht verarbeitet, denn ich denke, Trauer ist tatsächlich ein Gefühl, das man nicht wirklich verarbeiten kann. Wie sieht es mit der Liebe aus, oder mit der Freude? Kann man diese Gefühle verarbeiten? Nein, ich würde eher sagen, all unsere Gefühle, ob negativ oder positiv, verarbeiten wir nicht wirklich, sondern wir bearbeiten sie!
 
Alle Gefühle gehören zu uns und machen uns zu dem Menschen, der wir schlussendlich in unserer mehr oder weniger ganzen Vollkommenheit sind.
 
Vor allem unsere Trauer werden wir bearbeiten, Wir müssen sie bearbeiten, damit wir sie ertragen können, oder dass sie sich bei allen anderen Trauernden auch, eines Tages zumindest ins erträglich umwandelt, nämlich in Wehmut!
Wie können wir Trauer bearbeiten?

Zu Beginn meiner Trauer habe ich professionelle Hilfe benötigt, weil ich alleine nicht in der Lage gewesen wäre, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Zufällig stiess ich auf ein Hospiz und die dortige Trauerbegleitung. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt, doch dankbar nahm ich diese Hilfe an. Es waren liebevolle Damen, die mich so oft wie möglich besuchten und mich so nahmen, wie ich damals in meiner tiefsten Trauer war. Nun wurde ich nicht nur von meiner Psychologin verstanden, sondern da gab es auf einmal noch andere Menschen, die verstanden, wovon ich zu reden versuchte. Zu meiner Psychologin konnte ich nicht andauernd gehen, denn leider fällt ihre „Beratung“ nur im Rahmen einer Therapie und diese wiederum gibt es nur in gewissen Abständen, stundenweise. Doch die Trauerbegleitung kam, wann immer ich sie brauchte, wenn nötig und ihrerseits möglich, in den Momenten, wo es mir ganz besonders schlecht ging, notfalls sogar mitten in der Nacht.
 
In meiner schlimmsten Zeit schaute immer mal jemand von der Trauerbegleitung unaufgefordert bei mir vorbei. Die Damen versicherten sich, ob ich so gut es ging, mit allem versorgt war. Auch meine Freundin war jeder Zeit für mich da, doch aus beruflichen und familiären Gründen nicht immer zu erreichen.
In der Familie konnte ich irgendwie nicht den Halt finden, den ich gebraucht hätte. 
Vermutlich war ich mit meiner Trauer eine  zu grosse Belastung für sie und sie waren mit mir vollkommen überfordert. So erfuhr ich "hintenherum", dass mein Erscheinen bei dem einen oder anderen nicht immer erwünscht war, weil man mein ständiges Weinen nicht ertragen konnte, da sie alle selbst genug mit sich und ihrer Trauer zu tun hatten. Na ja, ich denke, den grössten Verlust unter ihnen hatte dennoch ganz alleine ich zu bewältigen, denn ich hatte das Liebste von meiner Seite durch diesen schrecklichen Krebstod verloren. Es war MEIN Mann, den es nun nicht mehr an MEINER Seite gab! 
 
Ebenso war ich es, die diesen verdammten Krebs gute zwei lange Jahre neben meinem Mann mit allem drum und dran erlebte und durchlebte, tagein, tagaus, 24 Stunden, zwei lange Jahre.  Ich bin heute sehr dankbar, dass wir diese zwei Jahre unseres stillen Abschieds geschenkt bekamen, denn wir erlebten trotz allem noch sehr schöne Zeiten. Und hätte mein Mann eine reelle Chance gehabt, wieder vollkommen gesund zu werden, ich hätte gerne noch viel länger mit ihm gekämpft.
 
Meine Psychologin forderte mich einige Zeit nach dem Tod meines Mannes behutsam auf, wieder mit dem Schreiben oder der Malerei zu beginnen, denn beides ist gleichermassen für mich wichtig. Aber ich konnte nicht schreiben und schon gar nicht malen, ich war in allen möglichen Bereichen komplett blockiert.
Erst sehr viel später, in einem Trauerforum und als ich meinen jetzigen Lebensgefährten kennen lernte, erwachten meine musischen Fähigkeiten ganz allmählich wieder.
Mein heutiger Mann schaffte es mit seiner guten Art und Liebe, mich wieder zum Malen zu bewegen. Die ersten Pinselstriche waren für mich mit grossem Schmerz verbunden, wie ein Stich ins Herz, fühlte und sah ich doch im Geiste, wie mein Mann mir bewundernd bei meiner Malerei zu sah – nur, es gab ihn ja nicht mehr, meinen liebevollen Bewunderer!
Still hat er immer gestaunt, was ich so auf die Leinwand zauberte, doch nun sass ich alleine vor meiner Staffelei, mit all den Farben, die mich früher immer und immer wieder zu meiner Träumerei und Spielerei auf der Leinwand einluden.
 
Doch mein Lebensgefährte, der von meiner Liebe zur Malerei wusste, ermutigte mich am Telefon wirklich sehr lieb und behutsam, dass ich wieder zu malen beginnen soll, um mir selbst etwas Gutes zu tun. Daraufhin fasste ich tatsächlich allen Mut zusammen und brachte ein wunderschönes Gemälde (Erinnerungen an Kandersteg) auf die Leinwand. Ich begann das Werk am zeitigen Mittag und malte ohne grosse Unterbrechung die ganze Nacht hindurch, bis zum nächsten Nachmittag. Meine Seele hat in diesem Bild damit begonnen, ein wenig Trauer  zu „bearbeiten“. Man konnte es an dem schweren, dunklen Felsmassiv, derbes Gestein und an der Dunkelheit des Bildes überhaupt, sehen. So finster dieses Gemälde bei der ersten Betrachtung wirkte, es schien dennoch wieder ein wenig Licht ins Dunkle zu kommen, denn der Schnee dort im Bild, zeugte von strahlender Helligkeit in einer dunklen Nacht. Dazu sollte ich erwähnen, dass ich im Vorfeld nie genau weiss, was ich malen will. In meinem Kopf gibt es etwaige Farbvorstellungen, Farben, auf die ich an diesem oder jenem Tag Lust habe und ich beginne auf der Leinwand zu spielen mit diesen Farben. Meine Seele diktiert mir das Geschehen, das Entstehen der Gemälde. Die Malerei war und ist immer ein Ventil für meine Seele und genauso ist es mit der Schreiberei.
 
Im Anfang der Trauer fragte meine Therapeutin mich oft, ob ich denn vielleicht schon wieder schreiben könne, es wäre gut, wenn ich es versuchen würde. Aufgrund der inneren Blockade ging es aber absolut nicht. Ich erzählte ihr, dass ich vor dem Blatt Papier sitze und nichts raus komme von meinen Gedanken.
Immer wieder ermutigte sie mich, ich solle es doch unbedingt versuchen, weil es meiner Seele helfen würde, da ich ja nun mal "der geborene Schreiberling" sei. Dabei sei es egal, ob ich Gedichte, Geschichten oder gar zusammenhanglose Texte niederschreibe, meinte sie. Wichtig allein sei dabei, dass ich überhaupt irgendetwas schreibe.
 
Doch auch dieser Neubeginn des Schreibens brauchte lange Zeit. Die ersten Texte, die noch recht mühsam aufs Papier kamen, schrieb ich damals für ein Trauerforum.
Es lag mir viel daran, anderen mit meinen Gedanken in schriftlicher Form zu helfen, sie wissen zu lassen, sie sind nicht alleine in ihrer Trauer, da gibt es Menschen wie Du und ich, denen genau solches Leid erfahren ist und die nun in einem dunklen Tunnel sitzen und Angst vor jedem neuen Tag und jeder herannahenden Nacht, ja, vor jeder Minute ihres Alleisens  haben. Sie haben genau die gleiche Angst vor dem Weiterleben ohne ihren liebsten verstorbenen Angehörigen, wie ich es erlebte. 
 
Mein jetziger Mann unterstützte meinen Neubeginn des Schreibens und durch sein gutes Zureden, durch seine liebevolle Inspiration schrieb ich schon bald mein erstes Buch.
Dieses Buch ist in recht heiterer Form geschrieben, doch es zeigt sich auch hierin immer wieder die Trauer in den unterschiedlichsten Momenten des Alltags.
 
Das Schreiben dieses Buches war ein weiterer Schritt für mich, meine Trauer zu bearbeiten, gar mit ihr zu arbeiten, denn zu dem Zeitpunkt, als ich das Manuskript für dieses Buch verfasste, ging es mir noch verdammt schlecht. Mein Lebensgefährte, der selbst noch in tiefster Trauer steckte, gab mir in allem so viel Kraft, dass ich weiter arbeitete und sogar meine Freude am schreiben wiederfand. Er machte mir trotz seiner eigenen Trauer immer wieder Mut und schenkte mir sein Vertrauen. Er förderte mich in meinem Schreibtalent, indem er mir unzählige Geschichten am Telefon über unseren kleinen Lausebengel Mowgli erzählte, wahre Erlebnisse, die ich dann in heitere Episoden umwandelte und so lange niederschrieb, bis wir beide, mein Lebensgefährte und ich, genug Material zusammen hatten, um ein Buch daraus entstehen zu lassen. Dieses Buch veröffentlichte mein Lebensgefährte als Geschenk für mich, zu unserem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest, nach all unserem schrecklichen Leid in den Jahren zuvor.
 
Mit all diesen Dingen habe ich an meiner Trauer gearbeitet, sie schlussendlich bearbeitet. Voila und inzwischen betreibe ich meine eigene Homepage und schreibe wie „vergiftet“, so es meine Zeit erlaubt – auch das ist Trauer bearbeiten, denn ich wühle in vielen Gefühlen und auch in meiner Vergangenheit herum. Und dieses Bearbeiten brachte und bringt etwas für mich sehr positives zum Vorschein: es zeigt mir, dass ich gut mit meiner Trauer umgegangen bin, denn sie quält mich nicht mehr. Ich bin in der Lage, die Geschehnisse der Vergangenheit aus dem Verborgenen hervorzuholen, sie zu betrachten und sie dann wieder zu verpacken, ohne das es mir weh tut. Welch kostbares Geschenk ist dieses Arbeiten und umgehen mit der Homepage, respektive mit meiner Vergangenheit doch, denn ich hätte damals nicht daran geglaubt, dass auch für mich noch einmal der Tag kommt, an dem ich mich wieder derart von dieser dunklen Macht der Trauer befreit fühle.
 
Inzwischen finde ich mich auch sehr gut zurecht in meinem neuen Leben. Nichts ist mehr, wie es einmal war, das ist aufgrund des vorangegangenen Schicksals ja auch nicht anders möglich.
Natürlich geht es meinem jetzigem Mann in ähnlicher Form genauso wie mir. Auch für ihn ist nichts mehr wie es einmal war. Den Halt, den ich bei ihm fand, fand er auf seine Weise in mir. Wir gaben uns gegenseitig Halt und Kraft und machten uns täglich Mut, zeigten uns damit den Weg aus der Trauer. Ich danke Gott immer wieder aus tiefstem Herzen, dass wir, mein Lebensgefährte und ich, einander trafen, unseren Weg mit grossem Verständnis für einander gemeinsam gehen, so lange Gott will. Wir haben beide aus unserer Vergangenheit, durch unser schweres Schicksal gelernt, das wirklich jeder Tag, jede Minute die letzte sein kann, die man zusammen mit dem Menschen, den man über alles liebt, verbringt.
 
Ich lebe heute in einem Land, das meine Liebe und mein Herz im Sturm erobert hat, so, wie ich es niemals auch nur im Ansatz für möglich gehalten hätte.
Vieles habe und hatte ich verloren, doch sehr vieles bekam ich dafür geschenkt. Natürlich ist absolut nichts mit meinem "alten Leben" vergleichbar, doch mein Leben ist wieder sehr lebenswert und schön geworden. Alles ist komplett anders, als es einmal war. Heute sind viele liebe neue Freunde, eine wundervolle Familie, ein lieber Partner an meiner Seite. Er ist ein Partner, dessen Herz voller Gutmütigkeit und Liebe ist. Ohne ihn ist mein Leben für mich nicht mehr vorstellbar.
 
Jeder einzelne Augenblick meines Lebens ist für mich kostbarer denn je geworden, weil ich weiss, bzw. weil mir deutlicher und bewusster denn je geworden ist, wie schnell alles für immer und ewig vorbei sein kann. Von einer Minute zur anderen kann ein Leben ausgelöscht sein, deshalb versuche ich jeden einzelnen Moment so intensiv wie möglich zu leben.
 
Ob ich Angst vor der Zukunft habe? Es wäre gelogen, wenn ich nein sagen würde, doch es ist keine nagende oder meinen Alltag bestimmende Angst, denn heute ist heute und morgen...? Das steht auf einem anderen Blatt!
Ich habe schon einmal alles verloren, was ein Mensch nur verlieren kann, was einem das Bedeutungsvollste ist...
Und überhaupt, wer weiss denn schon, was morgen ist, ob ich morgen überhaupt noch leben darf. Ich habe gelernt, aus allem das Beste zu machen, meinen Weg zu gehen und mir von niemandem etwas vorschreiben zu lassen, so wie damals, als einige meiner Mitmenschen glaubten, mir sagen zu müssen, wie ich zu leben habe, so nach dem Tod meines Mannes. Vieles hat mich damals sehr verletzt, doch noch mehr hat es mir dabei geholfen und mich darin bestärkt, meinen neuen Weg zu gehen. Ich habe auf die Stimme meines Herzens gehört, bin dem Ruf der Seele gefolgt und dort mit Liebe empfangen worden, wo ich ein neues Zuhause gefunden habe und noch einmal glücklich werden konnte. Mein Lebensgefährte und ich sprechen die gleiche Sprache und vielmals ist es fast ein wenig unheimlich, wenn wir feststellen, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben und was uns beide alles verbindet. Ich denke, im Himmel wurde beschlossen, was sich auf Erden erfüllt.
 
Meine Trauer war im Grunde genommen für mich unbeschreiblich schmerzhaft und grauenvoll, doch ich habe sie tapfer ertragen, auch wenn ich kurz davor stand eine grosse Dummheit zu machen.
Sicherlich schaut mein Mann jeden Tag voller Stolz auf mich, dass ich ihm nicht gefolgt bin, sondern einen ganz neuen Weg gegangen bin. Mein weg mit ihm im Herzen!
 
 
 
 
Abschliessend möchte ich allen Trauernden noch etwas mit auf den Weg geben:

Gib der Trauer die Zeit, die sie braucht. Deine Tränen sind Perlen, die sich ihren Weg bahnen, um dem kostbarsten Diamanten hinterher zu kullern. Lass dir Zeit für die Trauer, doch glaube daran, es kommt der Tag, da führt dich etwas aus dem dunklen Tunnel heraus, es ist das Licht der Hoffnung. Wenn du dieses Licht siehst, und sei es auch noch so klein, dann stehe auf und folge diesem Licht und lebe dein Leben Höre nur auf dein Herz, lass endlich deine Träume wieder wahr werden. Die Kraft dafür liegt in dir allein!
 
Gib deinen Träumen noch im selben Moment, da das Licht der Hoffnung für dich erscheint, eine Chance und beginne sofort so zu leben. Du darfst das, damit du wieder glücklich bist.
Das Leben ist zu kurz, um noch lange auf etwas zu warten.
 

In diesem Sinne

herzlichst Nati - Merlin

 

 

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